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Band 14 (2019) - Festschrift für Helga Hüsken-Janßen

Doppelheft 1+2, Oktober 2019, 272 Seiten

der Zeitschrift  Hypnose – Zeitschrift für Hypnose und Hypnotherapie  (Hypnose-ZHH)

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Inhaltsangabe und Abstracts

 

Walter Bongartz und Bärbel Bongartz 

Trancesprache – die anthropologische Perspektive 

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),9-43

Der Artikel vergleicht den Aufbau von Trancetexten aus fünf verschiedenen traditionellen Kulturen (Aborigines/Australien, etc.), um darüber die Komponenten der Trancetexte bestimmen zu können, die für die Nutzung von Trance bedeutsam sind. Der interkulturelle Vergleich ergab dabei ein klares Ergebnis: Alle ausgewählten Trancetexte haben den gleichen formellen Aufbau. Sie bestehen aus Einfachwiederholungen (bis zu 3 Zeilen) und aus Mehrfachwiederholungen (um 7 Zeilen, manchmal auch bis zu 60 Zeilen und mehr). Einzelzeilen ohne Wiederholungen sind selten. Die beiden Wiederholungsarten haben unterschiedliche Funktionen bei der Nutzung von Trance:Über Einfachwiederholungen wird eine „innere Wirklichkeit“ aufgebaut. Im Rahmen dieser „Trancewirklichkeit“ werden mit Mehrfachwiederholungen emotional-körperliche Erfahrungen vertieft. Die vermutlichen Wirkungsmechanismen von Einfach- und Mehrfachwiederholungen werden beschrieben. Für die moderne Hypnotherapie scheinen insbesondere Mehrfachwiederholungen von Bedeutung zu sein, die sehr tiefe Trancen ermöglichen. 

Schlüsselwörter: Trance, Hypnose, archaische Muster der Trancesprache 

 

Eva-Maria Mende und Matthias Mende 

Die Utilisation von Tieren in der Psychotherapie: Der Hund als Co-Therapeut in der hypnotherapeutischen Behandlung von Trauma – Ein Fallbericht 

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),45-55

Dieser Artikel beschreibt den Stand der Forschung im Bereich der tiergestützten Therapie und identifiziert die besonderen Kommunikations- und Kontaktfertigkeiten, wegen derer sich Hunde, mehr als alle anderen Tiere, als Co-Therapeuten eignen. Es wird unterschieden zwischen den allgemeinen Vorzügen, die Hunde in die Therapie einbringen, und den spezifischen psychotherapeutischen Aufgaben, die Hunde beim hypnotherapeutischen Arbeiten übernehmen können. Am Fall einer Patientin mit einer traumatischen Verlusterfahrung wird gezeigt, wie ein Therapiehund hilft, ein stabiles Therapiebündnis herzustellen. Der Hund stellt ein positives Übertragungsobjekt dar, mit dessen Hilfe das Ich gestärkt wird und verlorengegangene Ressourcen wieder zugänglich werden. Der Artikel beschreibt, wie der Hund in hypnotherapeutischen Interventionen hilft, die im Trauma chronisch erhöhte psycho-physiologische Aktivierung zu reduzieren, dissoziative Symptome der Derealisation aufzulösen und genug Stabilität zu schaffen, um traumatische Erfahrungen konfrontieren und integrieren zu können. Als Ergebnis entsteht eine gute Ausgewogenheit zwischen den emotionalen Grundbedürfnissen nach Gefühlen der Autonomie, Bindung, Kompetenz und Orientierung. 

Schlüsselwörter: Hypnotherapie, Psychotherapie, Hunde, tiergestützt, therapeutische Allianz, Trauma, emotionale Grundbedürfnisse.

 

Joscha Reinhard 

Hypnotherapie in der Geburtshilfe. Untersuchungen zur perinatalen Prävention und Diagnostik 

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),57-91

Dieser Übersichtsartikel fasst den aktuellen Stand der eigenständig durchgeführten Hypnotherapie-Studien von 2007-2010 auf dem Gebiet der Geburtshilfe zusammen. Es konnten erste empirische Belege dafür erbracht werden, dass es möglich ist, durch hypnotherapeutische Tiefenentspannung zu einer Stressreduktion und einer Stärkung der Immunantwort bei Schwangeren beizutragen und dadurch die Frühgeburtenrate als Hauptrisikofaktor für die Pathologie des Feten zu senken. Das von uns eingesetzte Messverfahren (Monica-System – ein nicht-invasives fetales Elektrokardiogramm (EKG)) erzielte verlässliche Ergebnisse und bewährte sich im Vergleich mit dem bewährten Routineverfahrens des CTGs. Ein Entspannungseffekt für die Mutter und tendenziell auch für das Kind konnte objektiv (apparativ) durch das Monica-System belegt werden. 

Schlüsselwörter: Hypnotherapie, Geburt, Schwangerschaft, Schmerzen, Herzfrequenz

 

Burkhard Peter, Eva Böbel, Maria Hagl, Mario Richter und Miguel Kazén

Die Persönlichkeitsstile von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz unterscheiden sich von der Norm und die männlichen Psychotherapeuten unterscheiden sich von ihren weiblichen Kolleginnen 

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),93-130

Die Therapeutenvariable ist noch weitgehend unerforscht. Hinsichtlich Persönlichkeit konzentrierte sich die Forschung weitgehend darauf, welche psychotherapeutischen Verfahren die psychotherapeutisch Tätigen bevorzugen sowie auf die sich hieraus ergebenden Unterschiede. Das heißt, die psychotherapeutisch Tätigen wurden jeweils mit ihrer eigenen Gruppe verglichen, nicht jedoch mit der „Normalbevölkerung“. So wollten wir wissen: Gibt es spezifische Persönlichkeitsstile, welche psychotherapeutisch Tätige auszeichnen? 1027 psychotherapeutisch Tätige aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden 2015 mit der Kurzform des Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventars (PSSI-K) online befragt und mit einer Normstichprobe von 3392 Personen aus unterschiedlichen Berufen verglichen. Die gefundenen Unterschiede können in drei Gruppen eingeteilt werden: (1) Große Unterschiede zur Norm zeigen sich in jenen Persönlichkeitsstilen, dank derer die psychotherapeutisch Tätigen fähig sind, die eigene Person zurückzustellen, Empathie und Wertschätzung zu zeigen, offen zu sein für das emotionale Erleben der Patienten und diesen eine verlässliche Beziehung zu bieten. (2) Sie sind aber nicht unterwürfig oder abhängig, nicht passiv, nicht übertrieben hilfsbereit oder selbstbehauptend, was sich in mittleren Unterschieden zur Norm zeigt. (3) Kaum bzw. keine Unterschiede zur Norm zeigen sich in Liebenswürdigkeit, Optimismus und Zwanghaftigkeit. Eine geschlechtsspezifische Auswertung zeigt, dass sich männliche Psychotherapeuten von ihren Kolleginnen unterscheiden, allerdings nicht in der gleichen Weise, wie sich Männer und Frauen in der Normstichprobe unterschieden. Die wesentlichen Limitationen bestehen darin, dass unsere Daten auf Selbstbeurteilung beruhen und dass wir in den Vergleichen zur Norm Geschlecht, Alter und Bildung statistisch nicht kontrolliert haben. Unser Fazit ist, dass die psychotherapeutisch Tätigen in den deutschsprachigen Ländern Persönlichkeitsstile zeigen, die wir als funktional für die psychotherapeutische Arbeit interpretieren. Dies sollte jedoch in weiteren Studien mit anderen Methoden und Messinstrumenten überprüft werden.

Schlüsselworte: Therapeutenvariable, Persönlichkeitsstil, PSSI, psychotherapeutisch Tätige, Beziehung, Geschlecht, Deutschland, Österreich, Schweiz

 

Martha Engelhardt, Cosma Leiner und Dirk Revenstorf

Hypnoseinduktion unter Verwendung von virtueller Realität: Effekt auf die Trancetiefe in Abhängigkeit von der Suggestibilität. Feasibility-Studie 

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),131-153

Das Erzeugen innerer Bilderwelten und „alternativer Wirklichkeiten“ ist für die hypnotische Trance von Bedeutung (Peter, 2015). Niedrigsuggestible Personen benötigen mehr Übung und therapeutische Unterstützung, um eine gewisse Trancetiefe zu erreichen. Dabei könnte die Technologie der virtuellen Realität (VR) für die Tranceinduktion genutzt werden. Die vorliegende Studie verglich erstmals die Anwendung einer Hypnoseinduktion unter Verwendung von VR mit derselben Audio-Hypnose ohne VR. In einem experimentellen Setting wurde die Trancetiefe in Abhängigkeit von Suggestibilität erhoben. Die Daten von 35 Niedrigsuggestiblen und 22 Hochsuggestiblen wurden ausgewertet. Es zeigte sich eine Interaktion zwischen der Suggestibilität und der Hypnosebedingung. Die niedrigsuggestiblen Probanden profitierten von der VR-Hypnose und erreichten einen tieferen Trancezustand als in der Audio-Hypnose. Bei den hochsuggestiblen Probanden zeigte sich kein Unterschied zwischen den Hypnosebedingungen. VR kann somit, insbesondere für Niedrigsuggestible, als vielversprechende Ergänzung einer Hypnotherapie bewertet werden. Die Beziehungsgestaltung und der Rapport dürfen dabei nicht vernachlässigt werden. 

Schlüsselwörter: Hypnose, Hypnotherapie, Virtuelle Realität, Suggestibilität, Trancetiefe, Trance

 

 

Gunther Schmidt 

Der „Hexer“ Erickson – Grenzen-Überwinder, Erschütterer, Stimulator für bereicherndes Neues 

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),155-188

Die Konzepte von Milton H. Erickson werden in einen Sinnzusammenhang gebracht mit wesentlichen existenziellen Erfahrungen seiner Biographie, die für das Verständnis seiner Entwicklung und die seiner Modelle wichtig sind. Die Kontextbedingungen in der Zeit, in denen er seine Modelle entwickelt hat, und die zum Teil sehr gegensätzlichen Auffassungen zum Mainstream seines Berufsfeldes werden beschrieben sowie die enorme Leistung Ericksons gewürdigt, in der Position eines immer wieder bedrohten Außenseiters gegen heftigen Widerstand konsequent und strategisch äußerst geschickt seinen Weg zu gehen. Dargelegt wird, wie Erickson bzgl. vieler Themenfelder in Theorie und Praxis zentrale Pionierleistungen vollbracht hat, dabei seiner Zeit oft um Jahrzehnte voraus war (nicht nur im Bereich der Hypnotherapie) und ebenso, wie und dass er der entscheidende Wegbereiter der heute immer einflussreicher werdenden Ressourcen-, Kompetenz-, Zukunfts- und Lösungsorientierung im Bereich der Psychotherapie, in Beratung bis hin zur Organisationsentwicklung war. Belegt wird schließlich, für welche verschiedenen Konzepte in diesen Bereichen die Erickson ́sche Konzeption maßgebliche Anstöße gebracht hat, und welche Haltung als Modell aus seiner Arbeit ableitbar wird.

Schlüsselwörter: Milton H. Erickson, biographische Aspekte, Lebensereignisse, „verwundeter Heiler“, Erickson ́sche Hypnotherapie, Kontext und „Zeitgeist“, Grenzgänger, Pionierleistungen, Vordenker der Ressourcen- und Kompetenzorientierung, Basis diverser Modelle, professionelle Haltung.

 

 

Maria Hagl 

Studien zur Wirksamkeit von klinischer Hypnose und Hypnotherapie im Jahr 2018 

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),189-208

Im Auftrag der Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose e. V. erfolgt jährlich eine Literatursuche zu randomisierten kontrollierten Studien (randomized controlled trials; RCTs) und Meta-Analysen, die sich mit der Wirksamkeit von klinischer Hypnose und Hypnotherapie befassen. Im Jahr 2018 wurden zwölf neu publizierte randomisierte Studien mit klinischen Stichproben gefunden, die den Einsatz von Hypnose mit einer Kontrollgruppe verglichen haben. In drei weiteren RCTs wurde jeweils in allen Studienarmen Hypnose eingesetzt, und in fünf RCTs wurde eine Kombination von Hypnose mit anderen therapeutischen Ansätzen evaluiert. Hinsichtlich der Indikationen überwiegt weiterhin der Einsatz von Hypnose als Adjunkt bei medizinischen Eingriffen und zum Umgang mit chronischen Schmerzen oder anderen körperlichen Beschwerden. Wie schon in den Vorjahren lässt sich ein Zuwachs an Forschung zur klinischen Anwendung der Hypnose beobachten, auch bei den neu angemeldeten RCTs. Allerdings sind knapp ein Drittel der 2018 publizierten RCTs nicht detailliert genug berichtet, was ihre Methodik, aber auch Limitationen im Studiendesign angeht. Solche Mängel in der Berichterstattung finden sich häufiger in älteren Studien, die vor der Einführung entsprechender Berichtsstandards erstellt wurden, was wiederum die Aussagekraft der neu publizierten Meta-Analysen einschränkt. Insgesamt sind damit 2018 nur wenige belastbare Ergebnisse zur Evidenzlage der klinischen Hypnose neu hinzugekommen. 

Schlüsselwörter: Hypnose, Hypnotherapie, Wirksamkeit, Psychotherapieforschung, randomisierte kontrollierte Studien, RCT, Meta-Analyse, Übersichtsarbeit.

 

 

Matthias Mende 

„Wenn Sie sich verschlucken, werden Sie sterben!“
Wie es gelang, eine jahrelang höchst wirksame Suggestion zu entmachten - Ein Fallbericht 

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),209-223

Der 53-jährige Martin T. leidet zu Therapiebeginn seit vier Jahren unter einer dissoziativen Schluckstörung, die sich nach einem Arbeitsunfall mit komplettem Querschnittsyndrom entwickelt hatte. Seither ernährt er sich ausschließlich über eine PEG-Sonde. Neurologische Ursachen für die vollständige Schluckstörung konnten ausgeschlossen werden. Ausgangspunkt war höchstwahrscheinlich die postoperativ gegebene eindringliche Warnung der Ärzte, sich auf keinen Fall zu verschlucken, da dies in einer tödlichen Lungenentzündung enden könnte. Die hypnotherapeutische Arbeit bezog sich darauf, (1) die lebensrettende Absicht und Gründlichkeit des „inneren Sicherheitszentrums“ zu würdigen, das in der Lage war, das Schlucken so zuverlässig zu unterbinden, (2) dieses Sicherheitszentrum anzuregen, sich davon zu überzeugen, dass das Schlucken heute wieder sicher möglich ist, (3) die motorische Schluckblockade zu lösen und die Schluckmotorik wieder zu aktivieren und (4) Herrn T. durch eine bewusst/unbewusst-Dissoziation von absichtlichen Schluckversuchen zu entlasten. Nach 30 Sitzungen innerhalb von 13 Monaten war die Schluckstörung vollständig gelöst, sodass die PEG-Sonde entfernt werden und Herr T. sämtliche Nahrungsmittel wieder normal essen konnte. 

Stichworte: Trauma, dissoziative Schluckstörung, ärztliche Alarmsuggestionen, Psychoedukation, inneres Sicherheitszentrum, Utilisation, Ressourcenaktivierung, hypnotherapeutisches Timing

 

 

Charles Richet 

Ein Fall von Somnambulismus aus der Entfernung (1885)

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),227-229

Charles Richet (1850-1935) interessierte sich neben den naturwissenschaftlichen Aspekten der Physiologie – 1913 erhielt er den Nobelpreis für Medizin – auch sehr für Hypnose und verwandten Phänomenen. Laut Ellenberger (1985, S. 120) hat er beispielsweise 1884 Puységur „wiederentdeckt“. Im Rahmen seiner Hypnosestudien zeigte er auch schon früh Interesse an Spiritismus und Parapsychologie und unterstützte in diesem Zusammenhang Anfang des 20. Jahrhunderts großzügig Schrenck-Notzings (1912) mediuministische Experimente (Dierks, 2012), weil er offenbar selbst von der Echtheit solcher Darbietungen überzeugt war. Von ihm stammt der Begriff des „Ektoplasmas” als Bezeichnung für jene „Materialisationen“, welche einige Medien in ihren „Séancen“ produzierten. Der vorliegende „Fall von Somnambulismus aus der Entfernung“ illustriert diesen einen Teil des breit gefächerten Interesses eines neugierigen Forschers, für den „exoterische“ und „esoterische“ Forschungen keinen Widerspruch darstellten. Bemerkenswert sind auch seine Überlegungen zum Schluss seines Beitrages, welche in heutigen Artikeln unter der Überschrift „Limitationen“ abgehandelt würden. (B. Peter) 

Schlüsselwörter: Charles Richet, Somnambulismus, Hypnose aus der Ferne

 

Henri-Étienne Beaunis 

Ein Fall mentaler Suggestion (1885)

Hypnose-ZHH 2019,14(1+2),230-231

Henri-Étienne Beaunis (1830-1921), Profesor für Medizin an der Universität Straßburg, gehörte zum weiteren Kreis der Schule von Nancy (Bernheim & Liébeault), deren Positionen er in den Auseinandersetzungen mit Charcots Schule der Salpêtrière in Paris energisch verteidigte. Im vorliegenden Artikel berichtet er nicht einen eigenen sondern den „Fall einer mentalen Suggestion“ seines verehrten Lehrers Ambroise-Auguste Liébeault. (B. Peter) 

Schlüsselwörter: Beaunis, Liébeault, Somnambulismus, Hypnose aus der Ferne, mentale Suggestion